Neulich hörte ich ein Interview mit einer Politologin im Radio. Es ging um das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft. Hierbei wies die Wissenschaftlerin den Interviewer auf seine Wortwahl hin, die schon eine Wertung beinhalte. Er fragte sinngemäß, ob Kanzlerin Merkel nicht einen Fehler gemacht hätte, als sie die Grenzen für Flüchtlinge öffnete. In der Tat waren die Grenzen schon lange offen – siehe Schengen-Abkommen. Und so sah sich der Journalist dabei ertappt, dass er ohne groß darüber nachzudenken, mit seinen Worten die eigene Wertung miteingebaut hatte.

Solch kleine Wertungen passieren oft. Ob bewusst oder unbewusst, die Wirkung ist die gleiche. Die Wortwahl lenkt den Blick auf einen Sachverhalt aus einer ganz bestimmten Perspektive. Der Perspektive des Erzählers, des Journalisten, des Politikers, des amerikanischen Präsidenten, schlichtweg desjenigen, der die Informationen mit seinem Gehirn logisch und emotional aufbereitet. Dabei wird das eigene Weltbild abgelichtet. Man kann sich noch so abmühen, philosophisch betrachtet ist es für den Menschen unmöglich, eine völlig neutrale, wertungsfreie Position einzunehmen.

Wenn Schreiber und Redner sich allerdings ihrer wörtlichen Fehlbarkeit bewusst sind, ist schon viel gewonnen. Hier spricht man von der „gelehrten Dummheit“, die weiß, dass sie nichts weiß und deshalb nach mehr Wissen strebt. Schlimmer ist die „ungelehrte Dummheit“, die nicht weiß, dass sie nichts weiß und deshalb mit sich und der Welt im Reinen ist (z.B. ein bekannter Präsident eines großen Landes).

Sollte dennoch jemand die absolute Wahrheit gefunden haben, bitte ich um eine kurze E-Mail. Da möchte ich gerne mehr wissen.

Da es nur eine göttliche Lösung für dieses Dilemma gibt – die steht uns leider nicht zur Verfügung – können wir uns nur der menschlichen Krücke bedienen: „Unterscheide zwischen Kommentar und Meldung“. Dieses eherne journalistische Prinzip hilft immer. Natürlich wird kein Journalist jemals die völlig wertungsfreie Nachricht schreiben können. Sich aber der eigenen Verantwortung bei der Wahl der Worte bewusst zu sein, ist allerehrenwert und stetige Aufgabe für alle Kommunikatoren.

Achtung! Diese kleine Glosse enthält zahlreiche Wertungen und Meinungen, die dem Autor zum Teil bewusst und zum Teil unbewusst sind. Sollten Sie anderer Meinung sein, freue ich mich auf den Dialog!